Stil-Kriterien der "Dresdner Gruppe"
(PZ, SN, 10/2015)
In der Bildhauerschule von Wolfgang Zimmer und der nachfolgenden "Dresdner Gruppe" wurde um 1989 mit "Kriterien" gearbeitet - in loser Weise, vielleicht nicht alle kann man philosophisch korrekt Kriterien nennen. Sie dienten als Werkzeug, um Gegenstände und Formen mit Bewußtsein auf ihre Qualitäten hin abzuklopfen. Sie waren nie Anleitung zum Schaffen, kein Erfüllungsgesetz ließ sich daraus ableiten.
Eine Hilfe zum Schaffen war die Methode des Bauens! In gegliederter Weise wird Teil auf Teil zum Bestehenden gefügt. Dadurch, dass es verschiedene Teile gibt, wird Gespräch zwischen ihnen möglich. "Dich halte fest und trage ich", "Dich neige und umgreife ich" - so sprechen die Formen miteinander.
Zwar dann das Geschaffene kann wieder mit Hilfe der Kriterien befragt werden.
Die waren uns sehr wichtig, auch entsprechende Vorträge Steiners dazu:
- "Man denkt eben nicht mit dem Gehirn, man denkt in Wirklichkeit mit seinem Knochenbau, wenn man in scharfen Denklinien denkt... Aber, wenn man das innere des Knochens anfängt zu erleben, ...sie lernten damit die Linien kennen, welche von der Götterseite her in die Welt gezeichnet waren, um die Welt zu konstituieren." Rudolf Steiner: Mysterienstätten des Mittelalters, Rosenkreuzertum und modernes Einweihungsprinzip, 12.01.1924 (GA233a)
- "Das Knochensystem ist der imaginierte Mensch, ausgefüllt mit Materie" Rudolf Steiner, Die Welt der Sinne und die Welt des Geistes, 30.12.1911 (GA 134)
- Oder zur Geisterfülltheit des physischen Leibes (als Form!) überhaupt: (GA131)
Und sehr impulsierend ist grade für die Frage nach friedenstiftenden Formen:
Rudolf Steiner, Dornach, 11. November 1923: “Der Mensch als Zusammenklang des schaffenden, bildenden und gestaltenden Weltenwortes” – zwölfter Vortrag, (GA 230):
“...Und so müßte eigentlich, ich möchte sagen, gehofft werden, daß alles das, was an Menschenunverstand und Menschenhaß durch die Menschen, wenn sie durch die Pforte des Todes gehen, hinaufgetragen wird in die geistige Welt, daß das auch wiederum dem Menschen mitgegeben wird, das heißt, daß daraus, es veredelnd, Menschengestalten geschaffen werden.
Nun hat sich aber im Laufe von langen Jahrhunderten für die gegenwärtige Entwickelung der Erdenmenschheit etwas sehr Sonderbares ergeben. Es konnten in der geistigen Welt nicht alle Menschenunverständnis- und Menschenhasseskräfte für neue Menschenbildungen, für neue Menschengestalten aufgebraucht werden. Es blieb ein Rest...”
Das verstehe ich direkt als Aufforderung, menschliche Gestalt zu geben einem jeden Ding, sei es eine Wiege oder ein Vortrag.
Ich meine, dass es darum geht: zu gestalten in menschlichem Maß – weil damit direkt Frieden geschaffen wird!
Stabkirchen
Sie zeigen den "Schein des Bewußtseins" in vielen Details, ebenso die "Anwesenheit des je Polaren", die menschlich-maßvolle Verschränkung der Qualitäten - das alles bei großer Vereinfachung: hirtlich im Königlichen.
Wärme, auf- und absteigende Wärmeformen...
Rundung hat viel Gewicht. "Und wir, die einen neuen Baustil begründen wollen, der ja hier nur unvollkommen sein wird, weil wir für mehr nicht die Mittel haben, wir wurden nun inspiriert mit Bauformen, die im Großen und in Einzelheiten das Runde hervorheben." Rudolf Steiner, Wege zu einem neuen Baustil, (GA286)
- Rundung, aber von etwas bestimmtem, also einer Fläche... neben einer anderen! Nicht alles wird rundgehudelt, dann wäre es wieder nur eine zwar weiche Kante. Nein, die obere Fläche spannt sich bis zu einer Kante, welche sie deutlich von einer seitlichen Fläche gliedert.
- Eine Tischfläche z.B. erhält Spannung, wie Wasser sie zeigt - zwar ist die Oberfläche mittig flach, zeigt jedoch mit der "Wärme", der bis zur Kante sich steigernden Krümmung eben Oberflächenspannung, innere Kraft.
- An solcher "Kraft von Innen" wird Wachstumskraft erlebbar, hier ist noch Zukunft...
Aufrichtekraft
Es ist eine Grundtendenz, dass in der Menschenbildung der Schwerpunkt über der Mitte liegt, die größte Ausdehnung oben ist. Auch das Ei als eine plastische Urform zeigt das, die Achse liegt schräg, "das dicke Ende will nach oben..."
Freilich gibt es viele Beispiele von Gegenbewegungen...
Oben - Unten
Differenzierung ist gefragt (GA 302):
- Konvex - Konkav, der Mensch zeigt es in seiner Leibbildung: nach oben wölbt sich der Kopf, unten muldet sich das Doppel der Füße. Jeder Knochen hat oben seine "Kugel", umgreift unten die "Kugel" darunter (zwar manchmal ist die Richtung umgebogen, z.B. beim Oberschenkelkopf). Leber und Lunge wölben sich über ihre unteren Nachbarn, bilden nach oben Rundung aus (zwar die Nieren zeigen Drehung).
- Sphärisch - Radial, des Menschen Leibbildung zeigt es auch so: der Kopf ist das Runde schlechthin (wenn es auch Quadratschädel gibt), am Gliedmaßenpol herrscht Strahligkeit bzw. Würfeligkeit bei den Wurzelknochen.
- Rund - Eckig, auch sonst scheint das stimmig, kubische oder kantige Formen erleben wir als zum physischen Boden gehörig, zum Mineralreich mit seiner Schwere, runde Formen finden sich in Kuppeln und Blüten, Baumkronen und zuletzt der Himmelssphäre selbst.
- Einfach - Vielfach, der Kopf als das Erste ist auch das (zunächst) Einfache. Ei!.
Dann geht es in die Vielheit. 2 Unterarmknochen, 3+4 Wurzelknochen und mehrfach je 5 Fingerknochen dann... - Synthetisch - Analytisch, Ei wie Nuss sind unentfaltet. Im Kopf des Menschen lassen sich zwar Zuständigkeiten der Hirnregionen finden, diese sind jedoch nicht absolut und gestaltlich schwer voneinander zu unterscheiden. - Im Stoffwechsel-Gliedmaßenbereich ist alles differenziert und ausgebreitet, jedes Organ hat seinen eigenen Wärmehaushalt, seinen individuellen ph-Wert, seine spezifische Form.
- Sein - Tun, der Kopf wird getragen, er ist da, trägt alles in sich. Füße und Hände leben vom Tätigsein, vom zu erfassenden Außen, sind nur vollständig zusammen mit dem Umraum und ihren Taten darin.
Da gibt es viele Hinweise von Rudolf Steiner, Hedwig Hauck hat sie dankenswerterweise zusammengestellt in ihrem Werk "Kunst und Handarbeit: Anregungen von Rudolf Steiner für Pädagogen und Künstler (Menschenkunde und Erziehung)". Aus diesem Buch stammen die Zeichnungen der nächsten Galeriebilder:
"Ja, wo ist denn da oben und unten? Man muss doch das äußerlich dem, was da als Verzierung dran ist, ansehen, wo etwas hineingesteckt wird, wo unten oder oben ist..." (5.1.1922: GA 303)
"...Es wird nicht darauf gesehen, dass in der entsprechenden Weise etwas, was man oben am Hals trägt, den Charakter dessen tragen muss, daß es oben..." (19.8.1924: GA 311)
Wie zuvor, manches doppelt sich:
- Sphärisch - Radialstrahlig/Würfelig
- am Eis kann man das schön erleben: junges Eis besteht aus zähe Häuten, sphärisch auf der Teichoberfläche sich breitend, manch Bruch betrifft nur eine Haut, darunter die nächste bricht unabhängig woanders. Altes Eis bricht radial (vom Erdmittelpunkt aus), manchmal kann man 15cm mit einem Tritt durchstoßen und lauter Stifte tauchen auf. (Ist es durch aufsteigende Blasen vielfach durchlöchert?)
- Bäume zeigen im frischen Schnitt ihre Jahresringe, diese dominieren das Bild. Alte Schnitte reißen radial, ein Stern erscheint, am Ende löst zersetzendes Holz sich in lauter Würfel fast auf.
- Rund - Eckig, Babyspeck und Hagerkeit des Greises
- (PZ, SN, 9/2017 erweiternd neu gefügt nach dem 5.Werkstattgespräch zum 2. Goetheanum mit Piet Sieperda.)
Mit den Vorträgen "Kunst im Lichte der Mysterienweisheit" setzt Rudolf Steiner Ende September 1914 auseinander:
"Ein Hinausprojizieren der eigenen Gesetzmäßigkeit des menschlichen Leibes außer uns in den Raum ist die Baukunst, die Architektur" - Architektur entstehe durch das Hinausprojizieren der "Kräftelinien des physischen Leibes des Menschen" (GA 275, Seite 43 und Seite 57/58) - das ist grundsätzlich für alle Baukunst gesagt, jedoch mit dem Zusatz: "wenn es sich um wirkliche Kunst dabei handelt, selbstverständlich."
Wenig später im November 1914 beschreibt er mit den Vorträgen "Die Welt als Ergebnis von Gleichgewichtswirkungen" den Menschenleib dann als dreifache Gleichgewichtswirkung zwischen Luzifer und Ahriman im Links-Rechts, Vorne-Hinten und Oben-Unten.
Wie unser eigenes Wollen, Fühlen und Denken sich da hineinfindet, wird am 9. April 1920 auseinandergesetzt (GA 201, Seite 17ff).
Kräftelinien, Leitlinien - die kann man verstehen als Verbindungslinien zwischen Polaritäten, den Qualitätswandel auf ihnen beschreiben:
Oben - Unten als Kopfwärts - Fußwärts:
- Konvex ~ Konkav (Kopfwölbung - Fußmuldung, auch bei Röhrenknochen, z.B. Oberarm, bei Leber/Lunge/Niere...)
- Innerlichkeit, gerundet - Außenreagierend bis geteilt, gegliedert, zergliedert
- Einheit - Zweiheit/Vielheit
- Sphärisch - Strahlig, Radial
Unser Fühlen wägt zwischen Oben & Unten, Hoch & Niedrig, Gut & Böse ~ eine Welle ist das "konvexkonkav".
Hier herrscht deutlich Differenzierung. Zwar soll gelten: "Wie oben, so unten", eine Entsprechung findet sich aber per Umkehrung: Was oben sich von innen nach außen wölbt, spricht unten von außen nach innen.
Vorne - Hinten als Gesicht - Rücken:
- Fassade - Hinterhof
- Präsentieren - Verbergen
- Schein - Sein
- Schönheit - Unschönheit?
- Offen - Geschlossen
- Weich - Hart
- Beweglich, Dynamisch - Fest, Statisch
Hinter uns liegt Vergangenheit - unsere Vorstellung bildet sie ab.
Unser Wille führt nach vorn - zum Schönen?!
Auch hier erkennt man deutliche Differenzierung, jedoch ganz anders als im Oben - Unten.
Nicht Konvex - Konkav! Diesbezüglich herrscht Wechsel.
Ferse/Kniekehle/Gesäß/Kreuz/Schulterrücken/Atlas/Hinterkopf - des Menschen Rückseite zeigt mit ihrer Welle, als Umrisslinie nur, wie rückseits zur Ruhe tendiert, was vorne so stark ist, dass die Grenze sich auflöst: die Reliefenergie. Die Konkavität steigert sich zu Einlasstoren bei Mund und Vagina - Lippen und Zunge, Penis und Brüste wölben weit in die Welt sich hinein. Hände, nicht als statische Gegenstände betrachtet, sondern richtig in ihrer lebendigen Zeitgestalt als handelnde Gliedmaßen begriffen, lösen sich in die Welt hinein auf, die Konvexität steigernd. Der Welt entgegen, nach vorne begreift und umfasst der Mensch mit seinen Gliedmaßen (und Kiefern) die Welt, öffnet sich ihr mit all seinen Sinnen, nimmt aktiv sie auf mit Atem und Nahrung. Hier gewinnt er aufnehmend und verinnerlichend Erkenntnis. Hier greift er ein, schafft und gestaltet mit Sprachtat und Handlung. Erkennen ist Lieben, auch die leiblichen Liebesorgane zeigen in ihren Formen Zeugung und Empfängnis, Einschmiegen und Umgreifen, Eindringen und Aufnehmen. Minnen ist Meinen - beides ein "Mir-einen".
Links - Rechts:
- Warm - Kalt
- Lauschend fühlend - Energisch tätig
- Wohnbauten - Zweckbauten (Hierzu ist interessant die Verteilung der Funktionen in der Gesamtanlage der Goetheanumbauten)
Unser Denken scheidet in wahr oder falsch, Recht vom Unrecht?
Hier herrscht gesamtgestaltlich Symmetrie, zwar eine lebendige. Des Menschen Gestalt zeigt klar eine Achse, zwar ist der lebendige Mensch immer bewegt, eine starre Gleichheit zweier Hälften gibt es nicht. Und innen im Funktionalen herrscht teilweise wirkliche Asymmetrie:
- Gliedmaßen: Standbein - Spielbein, Bogenarm - Spielarm (Geige)
- Auge: Schauend - Blickend
- Lunge: links schweben zwei Flügel - rechts stehen drei, drum fällt jeder Fremdkörper rechts hinein
- Verdauung, Magen/Leber/Darm, alles asymmetrisch...
Asymmetrische Formen findet man sinnvoll z.B. beim einseitigen Anbau (Rudolf Steiner Halde), bei einseitig angeschlagenen Türen, aber auch bei einzelnen Schuhsohlen oder seitlich gebundenen Mappen empfohlen.
"Der Bau wird Mensch", also Du und Ich, wenn klar seine drei Achsen sind, das scheint Bedingung.
Identifikation wird möglich durch Projektion des ganzen Menschen - Womit?
Betrachten wir des Menschen Leib, so finden wir in jedem Teil den ganzen Mensch: Fußreflexzonen, Irisdiagnose, Ohrakkupunktur...
Interessant sind in diesem Sinn des Goetheanum Gesamtanlage und jedes Gebäude. Jedes Portal, jede Tür, jedes Möbel kann die Ganzheit sein.
Dreigliedrigkeit
Ballung-Streckung-Ballung als menschliche Art.
Höhere Pflanzen zeigen auch dies Prinzip. Von Knoten zu Knoten ist schwungvolles Überbrücken, an den Knoten selber kommt die Bewegung zur Ruhe, sammelt Kraft für den nächsten Schwung...
Zwar gibt es auch Stacheln und Dornen, die enden sich verjüngend spitz, aber da wächst nichts mehr. Der zeigende Finger? Immer geht die menschlichste Gebärde in die Weite...
Alle Gliedmaßenknochen zeigen das in Reinkultur, unten gibt es die aufnehmende konkave Ballung, dann in spiraligem Fluss die Streckung, am oberen Ende die rundende, konvexe Ballung - sie gibt den Impuls in die nächste Konkavität weiter. Bei Vogelknochen kommt das vor, dass die Streckung in zwei Hälften reißt wie eine Lemniskate in zwei Tropfen sich auseinandergliedert. Da ist aber doch der Bezug zu erleben, die Weitung wiederzufinden.
Im Oben-Unten weichen wir dabei ab von manchem "dornach Design": Ein "Oberer Abschluss" braucht sein Pendant in Sockel und Fuss, zwar menschlich mit deutlicher Aufrichtekraft und Betonung des Oben.
Woher - Wohin
Jede Wölbung soll ihre Herkunft zeigen, der "Impuls" als Mulde unter den Füßen steht in direktem Wirkenszusammenhang mit der Rundung des Kopfes. So bei jedem Knochen...
Auch z.B. beim Kopfteil der Wiege: der Impuls von unten wirkt als eine Kraft von außen, erkennbar an der Eckigkeit, schafft zusammen mit den unteren hohen seitlichen Fugen eine innere Kraft, die oben dann wölbt in die große Rundung des kopfwärtigen Seins.
Genauso beim Fußteil der Wiege. Hier die unteren seitlichen Fugen anders empfunden: sie lenken den Kraftstrom, welcher von unten impulsiert hochströmt, in die Diagonalen nach oben außen ins Tun, ins festhaltende Umgreifen...
Schwer hatte ich es beim Studium mit Fensterbögen. Blieben die Fenster unten rechteckig, so nahmen die Rundungen oben alleine für mein Empfinden nur Wachheit weg. Eine Erlösung wurde mir dafür die Möglichkeit des Woher: manche alten Fenster selbst aus Gründerzeiten noch zeigen zwar keinen Unterimpuls, aber eben seitlich unten solche zusammenfassende Laibungssockel, damit ein Woher.
Eine L-Gebärde ist so erlebbar, indem eine innere Kraft oben nach außen wölbt, unten seitlich von außen her zusammengenommen impulsiert wird. Die Ecksteine im Torbogen sind ähnlich zu empfinden, ein Schlusstein teilt die Gebärde und sorgt so für ein Herumfließen.
(In diesem Doppel von oberem Auseinanderschieben und unteren Zusammenziehen kann man auch das Baumotiv des ersten Goetheanums sehen, welches damit die Kräfte sichtbar macht, die in jedem Gewölbe herrschen.)
Metamorphose
Die Glieder eines größeren Ganzen verhalten sich umso menschengemäßer, je mehr sie Metamorphosen von einander sind. Das heißt u.a.:
Polares je anwesend
Die Anwesenheit des je Polaren bei größtmöglicher Spanne macht das Menschliche aus. Der Schädel ist möglichst rund, hat aber im Gebiss seine eigene Gliedmaßigkeit, die Gliedmaßenknochen sind möglichst strahlig oder im Hand- bzw. Fuss-Wurzelbereich kubisch, tragen aber dennoch alle die Kopfrundung an sich...
So trägt selbst der Verbindungsholm einer Wiege das Bild der aufstrebenden Bewegung durch die konischen Phasen, auch, wenn er nur ganz untergeordnet dienend festhalten muss. So haben selbst die Himmelsbögen am offenen Ende ihre deutlichen Flächen je Richtung, klare Kanten bei aller Rundung.
Es bedeutet auch, dass man mit Zusammenfügungen geometrischer Formen nicht weit kommt: ein Halbkreis auf einem Rechteck mag zwar wohlproportioniert gewählt werden. Aber erst, wenn der Bogen etwas von der Qualität des Rechteckigen hat und das Rechteck solche des Runden, haben beide Partien die gemeinte Verwandschaft.
Solches finde ich zum Beipiel bei der Tür der Stabkirche keimhaft zu entdecken, die Rundung unten fällt direkt auf, der zwar kreisgeometrische Bogen oben zeigt mit seiner "Drahtigkeit" die Kraft des Eckigen:
Schein der Form
Als ob es sich biegen würde... es ist nicht nötig, ein "wirklich rundes Ei" als Wiege zu bauen. Viel spannungsvoller ist es, die graden Bretter so zu raspeln, dass scheinbar sie sich biegen, dass sie eine umhüllende Gebärde bekommen...
Drum braucht es eine gewisse Stärke der Bohlen, denn nur die Behandlung der Schnittkanten mit Drehungen und Schrägen macht solche Bewegung möglich...
Schein des Lebens
Als ob es wachsen könnte... siehe Ballung etc.
fließen, spiralisieren, mäandern - in Oberflächen und diagonalen Bezügen...
Schein des Bewußtseins
Die Teile sollen voneinander und von ihrer Funktion wissen...
Sie werden also nicht stumpf aneinander gefügt zu eigentlich einem gemacht! Sondern durch die gegliederte Bauweise wird ein Gespräch möglich, was wäre erquicklicher? Jedes Teil macht den anderen Platz, die Fuge! Und dann durchdringen sie sich mit deutlichstem Ausdruck ihrer Tätigkeit. Dieses umgreift, jenes hält. Eines trägt ein anderes...
Projektivität
Räumlicher Bezug zueinander ist gefragt:
- Bogenfamilien
- konzentrische Bögen machen einen Mittelpunkt erfahrbar, Ellipsen einer Familie ihre zwei bewirkenden Punkte...
- Ist ein oberer Bogen enger gekrümmt als ein unterer, so schneiden die beiden sich bald, werden weitere Verwandte darüber immer enger und kleiner werden - da fühlt man Bewegung, zunehmende Geschwindigkeit und am Ende einen winzigen Kreis nach oben hinausschießen... die eine Form in zwei teilend.
- Ist der obere Bogen weiter gekrümmt als der untere, gibt es keine Schnittpunkte - man erfährt Stauung und dadurch Kraft im Zur-Ruhe-Kommen.
- Phasen aus einer Raumrichtung: Z.B. eine polygonale Treppenstufe kann man aus einer Raumrichtung anphasen - an Seiten, welche mit dieser parallel gehen, bleibt die Phase dann unsichtbar! (Statt die Phase mit der Oberfräse allseitig sozusagen als Soße darüber zu schütten...)
Letzteres ist von anderer Seite aufgefasst auch "Freiheit vom Stoff" oder "Unabhängigkeit von Stoff und Form", wenn eine Charakter gebende Prägung nicht der stofflichen Form folgt, sondern aus dem Räumlichen kommt.
(Ähnliches kann man beim Schraffierenden Zeichnen erleben, wenn die Schraffur nicht der Kontur folgt, sondern davon unabhängig eine eigene Richtung hat.)
Den Raum selbst gilt es zu gestalten, er werde geformt! Des Stoffes Form mache die Raumform erlebbar. Wie in der Architektur die Form des Raumes selbst (Letztlich das seelische Tun und Lassen der Menschen in ihm!) das eigentliche ist, nicht die materiellen Wände, Decken und Böden - das "Gugelhupf"-Prinzip, beschrieben am 7.Juno und am 21. Nov. 1914. Manch klare "Abrisskante" (Aerodynamik) ermöglicht die Ablösung der Form vom Stoff. (Bei manch wunderschönem konvexen "Knubbel" spielt alles in dessen Innern sich ab, aber jede Konkavität erschafft einen Bezugspunkt außer sich im Raum - und Konkavität ist kaum denkbar ohne Kante, wäre ohne Begrenzung nur von innen erlebbar;-))
"Fehlertoleranz" - Lebenstauglichkeit - Alterungsfähigkeit
(PZ, SN, 5/2019)
Ein altes Fachwerkhaus, ein Ziegelbau, sie mögen Moos an der Wetterseite tragen und Algen in den Fugen, Kratzer von vorbeistreifenden Fahrzeugen, abgestoßene Ecken. Das mindert ihre Schönheit kaum, trägt bei zu Charme und Charakter. Im Gegensatz dazu wirkt manch moderne Fassade nach wenigen Jahren schon schäbig, verträgt keinen Kratzer ohne "kaputt" zu wirken, braucht notwendig Verjüngungskuren durch regelmäßigen Anstrich - als ob solch Architektur eigentlich als Modell für unter Glas gedacht sei.
Das ging uns auf im Workshop bei der Maitagung "angewandte Kunst", dass auch dies ein abzufragendes Kriterium sei: wie lebenstauglich erweist sich ein Objekt? Zwar damals nicht deutlich formuliert, arbeiteten wir Bettler doch seit Beginn damit, ein Bett sollte beides vertragen, Patina und abgesplitterte Ecken.
Z.B. wächst ein Ahorn anfänglich absolut symmetrisch wechselständig - doch solchen Wuchs ideal fortgesetzt gibt keinen großen echten Ahorn! Wildverbiss und Windbruch scheinen eingeplant und geradezu nötig für einen charaktervollen Baum. Vielleicht die einjährigen Pflanzen kennen eine leidlose, schadenfrei sich entfaltende ideale Schönheit, ein Baum braucht Bruch;-)
Wie wissen wir den einen Ahorn nah seinem Urbild, erkennen wir den anderern als abnorm? Wohl wissen wir im Ergebnis zu unterscheiden, welche äußeren Einwirkungen stören und schaden, welch andere dagegen würdevoll altern und Charakter gewinnen lassen, wenn es auch schwerfällt, das zu formulieren.
Viele Dinge heute verlangen Perfektion, ihre Schönheit hängt ab von vollständiger Unversehrtheit. Das heilige Blechle verträgt keine Beule. Jeans andererseits werden gleich pre-rotted hergestellt.
Und natürlich ist auch dieses Kriterium eine Leitinie, also eine gedachte Verbindung zwischen Polaritäten: die zarte Verletzlichkeit der Schönheit von Ei und Blüte einerseits gehört zum Leben am einen Ende richtig dazu, die robuste und verwittertungsbeständige Schönheit von Bäumen wie Greisengesichtern kennzeichnet das andere Ende. Je nach dem verschieden ist ein als stimmig empfundenes Gleichgewicht.
So haben wir die physische Zerbrechlichkeit im Himmelsbereich der Wiege immer als "richtig" empfunden - versuchte Täuschung wäre der Tatbestand von unkaputtbaren Bögen da! Gleichzeitig haben wir die Formen selbst der himmlischen Teile so gesucht, dass fehlende Splitter dennoch nicht stören.
So sollten Sockel am meisten vertragen Lebensspuren, gehört robuste Schlichtheit einfach da hin.